Fetisch Arbeit

Von Katja Dombrowski

Die meisten Menschen, die ich kenne, arbeiten zu viel. Nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen – oder das Gefühl haben zu müssen. Beides ist ungesund. Vor allem wäre es oft gar nicht nötig! Die Produktivität ist hoch wie nie, auch dank der zunehmenden Automatisierung und Digitalisierung. Da könnte die Arbeit, die es noch gibt, durchaus anders verteilt werden: auf mehr Schultern.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Nachdem die Wochenarbeitszeit im 20. Jahrhundert sukzessive verkürzt wurde, gab es in den 1990er Jahren eine Trendumkehr: Ab da wurde sie tendenziell wieder mehr. Erst vor kurzem hat ein Verlag, für den ich arbeite, die Wochenarbeitszeit für seine Angestellten von 37 auf 40 Stunden angehoben. 40 Stunden sind in Deutschland heute normal, plus Überstunden. Auch die Arbeitszeit für Beamte liegt zwischen 40 und 42 Stunden, je nach Alter und Bundesland.

Sinnvoll sind achtstündige Arbeitstage nicht. Die Leistungsfähigkeit lässt nach sechs, sieben Stunden deutlich nach, dazu gibt es viele Studien. Bei manchen Tätigkeiten, zum Beispiel auf dem Bau, leidet dann nicht nur die Qualität der Arbeit, sondern auch die Sicherheit. Trotzdem wird Arbeit auch danach bewertet, wie lange sie jemand macht. Klar: Etwas leisten, das geht nicht so nebenbei. Das muss schon den Großteil der Lebenszeit kosten.

Anstrengend sein muss es auch. Wer sich nicht anstrengt, gilt schnell als faul. Und Faulheit ist nicht nur eine Charakterschwäche, sondern nach der christlichen Lehre sogar eine schwere Sünde. Wer katholisch ist und faul, muss sich darauf einstellen, in der Hölle zu braten. Nur wenn du dich vorher ordentlich angestrengt hast, hast du es dir verdient (!), auch mal nichts zu tun. Das heißt dann ausruhen und ist gesellschaftlich akzeptiert. Noch besser wäre es allerdings, du würdest Sport machen, um deine Leistungsfähigkeit wieder herzustellen, oder wenigstens meditieren.

Man könnte auch auf die Idee kommen, den Leistungsgedanken an der physikalischen Lehre zu orientieren: Das hieße, wer seine Arbeit in möglichst kurzer Zeit erledigt, erbrächte die größte Leistung. Und hätte danach am meisten Zeit fürs Nichtstun.

Gar nichts zu tun, ist übrigens gar nicht so einfach – entgegen der Meinung mancher Chefs noch nicht mal im Homeoffice. Es ist schon fast eine Kunst, die es zu erlernen gilt, sogar Ratgeberliteratur gibt es dafür. Aber Vorsicht: Ehe man sich versieht, wird auch das Nichtstun zur Aufgabe. Entweder man schafft es, oder man schafft es nicht. Oder nicht lange genug. Der Leistungsgedanke lauert überall.

Katja Dombrowski ist freie Journalistin, lebt in Friedberg und engagiert sich ehrenamtlich bei den Wetterauer Grünen. Der Meinungsbeitrag spiegelt allein die Meinung der Kolumnistin wieder.