Krisenquartett

Von Katja Dombrowski

In letzter Zeit fühle ich mich manchmal wie beim Quartett. Im Spiel sind verschiedene Krisen: Coronapandemie und Klimakatastrophe als aktuelle Supertrümpfe, daneben Dauerbrenner wie Krieg und Flucht und auch persönliche Krisen, bei denen es nicht gleich um die Zukunft der Menschheit oder wenigstens die Volksgesundheit geht. Treffen sich mehrere Menschen, egal ob in echt oder digital, packen sie auf die unvermeidliche Frage „Wie geht‘s?“ ihre Krisenkarten auf den Tisch. Das größte Leid gewinnt.

Zum Beispiel so: A: „Boah, dieser Lockdown macht mich bald wahnsinnig! Ich kann das ewige Zu-Hause-Hocken nicht mehr ertragen.“ B: „Ja, aber besser zu Hause hocken als im Bombenkeller. Ich hab als Kind ja noch den Krieg erlebt. Dagegen ist Corona gar nichts.“ C: „2. Weltkrieg? Der ist ja wohl Schnee von gestern. In Syrien ist heute Krieg, was meinst du, wie es den Menschen dort geht?“ In diesem Fall sticht Krieg Lockdown, und ein aktuelles Kriegstrauma wiegt mehr als ein altes.

Oder so: A: „Die Coronakrise vernichtet Menschenleben und wirtschaftliche Existenzen, sie ist die schlimmste Krise in Westdeutschland seit dem 2. Weltkrieg.“ B: „Die Klimakrise vernichtet noch viel mehr Menschenleben und wirtschaftliche Existenzen, und zwar weltweit!“ C: „Für mich ist die politische Krise die größte, denn sie ist Schuld daran, dass wir weder Corona noch das Klima in den Griff bekommen.“ Hier gewinnt für mich B aufgrund der Krisenkarte mit der größten Reichweite.

Das Quartett funktioniert auch weniger existenziell. A: „Mal wieder richtig Party wär‘ ja schon schön.“ B: „Ich will ans Meer.“ C: „Ich kann seit Monaten nicht trainieren – hinterher fange ich bei null wieder an.“ Schwer zu sagen, wer in dem Fall den größten Verzicht schultert. Aber C scheint mir die langfristigste Wirkung zu haben.

Das Spiel hilft bei der Erkenntnis, dass alles noch viel schlimmer sein könnte. Und für viele Menschen auch tatsächlich schlimmer ist. Es kann aber auch frustrierend wirken. Denn manchmal ist es das normal-menschliche Leid, das uns am meisten belastet, und das ist darin nichts wert. Mit Migräne oder einer zerbrochenen Beziehung, einem tyrannischen Chef oder einer verpatzten Chance ist im Krisen-Quartett nichts zu gewinnen. Die Supertrümpfe stechen alles weg.

Katja Dombrowski ist freie Journalistin, lebt in Friedberg und engagiert sich ehrenamtlich bei den Wetterauer Grünen. Der Meinungsbeitrag spiegelt allein die Meinung der Kolumnistin wieder.